Sternenhimmel

 

Sprinter ist erklärter „Draußenschläfer“. Mit einem Hotelzimmer kann man ihn jagen, Schlafsack, Isomatte und ein Blick auf den Sternenhimmel, mehr braucht er nicht um in Tiefschlaf zu fallen.

Ich wiederum stamme aus einer Familie von Bettschläfern. Einen Campingplatz habe ich noch nie von innen gesehen und wenn ich mich recht erinnere, habe ich vor Sprinter erst einmal in einem Zelt bzw. Schlafsack geschlafen. Das war auf einem Festival in St. Gallen, und ich war so berauscht (von der Musik!), dass mir ziemlich egal war wo ich mich irgendwann mitten in der Nacht hinlegte.

Meine erste „draußen“ – Erfahrung mit Sprinter machte ich, als wir den „Drachentanz“ nahe der Coburger Hütte gehen wollten. Die Hütte war seit Monaten ausgebucht, also beschlossen wir am Seeebensee unterhalb der Hütte zu schlafen. Am Vorabend stiegen wir, bepackt mit Matten, Schlafsäcken und dem Kletterzeug, auf zum See. Es war Anfang September, im Seeebensee, eingerahmt von Bergen, spiegelte sich die sternenklare Nacht, und Sprinter versank mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen binnen Sekunden in tiefen Schlaf.

Ich nicht.

Ich wälzte mich hin und her, die Matte zu kurz, der Schlafsack zu eng, meine übliche Schlafstellung (Embryo) unmöglich. Jede Stunde wachte ich auf, und jedes Mal hatte ich das Gefühl dass Matte, Schlafsack und Wiese noch nasser waren als zuvor. Als endlich der Morgen graute war ich heilfroh und todmüde. Alles war feucht und ungemütlich. Sprinter schaute mich ein bisschen komisch an, ich dachte mir nichts dabei. Wir packten zusammen und stiegen auf zur Hütte, für unseren Morgenkaffee. Dort auf der Toilette sah ich mich zum ersten Mal im Spiegel. Mein Gesicht war komplett verschwollen! Warum nur? Vielleicht eine Allergie auf die Gräser, Pollen oder die viele frische Luft?

Zum Glück kam dann der Winter und ich wähnte mich vor weiteren Schlafsackaktionen in Sicherheit.

Für unsere Winterausflüge nach Arco buchte ich billige Pensionen und war glücklich mit den weichen, warmen und trockenen Doppelbetten.

Sobald aber die Temperaturen es zuließen ging es wieder ab ins Freie, und ich gewöhnte mich irgendwie daran. Mit Extrapolster, Extrahüttenschlafsack und neuer Matte und immer darauf bedacht ein Einschlafbier dabeizuhaben konnte ich sogar gelegentlich ein kleines bisschen den Sternenhimmel genießen.

Dann kam eine heiße, schwüle Augustnacht in Arco. Während Sprinter, wie üblich, friedlich neben mir schlummerte, machte ich kein Auge zu. Ein Schwarm Mücken hatte sich über mir in Position gebracht. Erfahrungsgemäß bin immer ich das Opfer, nie Sprinter, was unfair ist weil er (gemäß seinem Eiskonsum) viel süßeres Blut haben müsste als ich.

Ich schwitzte in meinem Schlafsack, traute mich aber nicht ohne zu schlafen, er war schließlich mein Schutzschild gegen die Mücken. In der Hoffnung, die Mücken infolge fehlender Angriffsfläche zu vergraulen, schloss ich den Schlafsack bis zum Hals und fiel in einen unruhigen Schlaf. Fehler. Ich erwachte, als eines der Biester an meiner Lippe saugte. Fluchend und kratzend gab ich auf und verzog mich ins Auto. Im Auto war es warm, ich musste das Fenster zumindest einen Spalt offen lassen, aber ich dachte ich hätte die Mücken abgehängt. Zweiter Fehler.

Wieder schlief ich ein und träumte von Monstermücken mit mächtigen Rüsseln. Um sieben klopfte Sprinter ans Autofenster. Müde drehte ich mich um. Sprinters Blick, eine Mischung aus Entsetzen, Mitleid und ungläubigem Staunen, verhieß nichts Gutes. Mit einem Auge betrachtete ich mich im Vorderspiegel. Das zweite ging nicht mehr auf, eine ganze Mückenfamilie hatte sich daran vergangen. Die Verwandtschaft der Mückenfamilie hatte sich meine Lippe vorgenommen. Oben sah mein Gesicht aus wie nach einer Schlägerei. Unten wie nach einer sehr missglückten Schönheits – OP.

An diesem Tag suchten wir uns eine sehr abgelegene Tour und ich kletterte mit Sonnenbrille. Noch Tage später war ich verschwollen und musste  meinem Friseur erklären, dass ich nicht unter häuslicher Gewalt sondern nur unter einem Mückenangriff litt.

Ich überlege jetzt, Sprinter ein Plätzchen auf dem Balkon herzurichten, vielleicht mit etwas Kunstrasen und ein paar verstreuten Tannenzapfen. So hat er seinen Sternenhimmel wann immer er will. Und ich mein warmes weiches Bett.