Wege(len)

Auf Alpintouren verbringt man manchmal viel Zeit mit der Suche nach dem richtigen Weg: dem richtigen Zustieg, dem richtigen Einstieg, dem richtigen Routenverlauf und dem richtigen Abstieg. 
Sprinter ist im Wege – suchen Meister. Leider hat er aber auch eine Vorliebe die ich so ganz und gar nicht teile: er liebt Wegelen.
Zum besseren Verständnis: während Wege einen klar definierten, oft markierten und viel begangenen Verlauf haben sind Wegelen eher das Gegenteil und enden daher auch oft im Nichts. Für Sprinter wiederum sind Wegelen die allerkürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Für Sprinter gibt es auch fast kein Gelände das sich nicht für ein Wegele eignet, keine Wiese ist zu steil, kein Dickicht zu dicht und keine Schuttrinne zu rutschig. Oft ortet er auch Spuren eines Wegeles wo garantiert keines ist. Wenn sich Tage zuvor ein Bergsteiger verirrt und beim Herumirren ein paar Grashalme geknickt hat, sind diese Grashalme ein glasklares Indiz für Sprinter dass hier ein Wegele sein muss. Er hat schon bestens markierte Zustiege ignoriert weil er Wegspuren ausgemacht hat die ganz sicher schneller zum Einstieg führen. Ich warte dann einfach beim Einstieg auf ihn.
Ich mag breite, gemäßigt steile Forstwege und finde Serpentinen äußerst angenehm. Sprinter mag Wegelen und hasst Serpentinen – für ihn die weggewordene Zeitverschwendung. Warum eine Strecke künstlich durch Kurven verlängern wenn man auch gerade hinauf kann?
Dass wir durch die Nutzung von Wegelen keinen Zeitgewinn haben wollte Sprinter lange nicht akzeptieren (genau genommen tut er es immer noch nicht). Es ist nämlich so: ich kann schnell gehen so lange die Steigung einen bestimmten Grad nicht übersteigt. Sobald dieser Grad erreicht ist werde ich zur Schnecke und weder ein nahendes Gewitter noch drohende Dunkelheit helfen mein Tempo zu beschleunigen. Das gilt aufwärts genauso wie abwärts. Für Sprinter ist es komplett unlogisch dass ich für längere Strecken weniger Zeit brauche als für kürzere (so formuliert klingt es auch unlogisch, aber es ist wahr!). Genauso gut könnte ich ihm erklären dass die Erde neuerdings wieder eine Scheibe ist.  
Er findet ich brauche einfach Übung. Manchmal tue ich ihm den Gefallen und folge ihm auf einem Wegele, er tänzelt dann vor und gibt mir Instruktionen (Gerade stehen! Flach auftreten! Die Ferse in den Hang stemmen!). Alle paar Meter bleibt er stehen und wartet auf mich. Sind wir dann endlich am Ziel bin ich schweißgebadet und mit den Nerven am Ende. Sprinter lobt mich dann mit den Worten „Siehst du – war ja gar nicht schlimm und schneller waren wir auch!“
Ja klar. Und die Erde ist eine Scheibe.