„Castiglioni – Detassis“, Nordwestkante, Pala del Rifugio, ca. 20 SL, 5

 

Die Pala – unendliche Weiten! Wir landen hier eher spontan weil es uns am Falzaregopass zu kalt ist  und wir eine „gemütliche Gratwanderung“ machen wollen.

Die „Castiglioni – Detassis“ hat Sprinter aus einem Führer. Eineinhalb Stunden Zustieg (ab Parkplatz), 5-7 Stunden Kletterzeit, 3 Stunden Abstieg. Keine Halbtagestour, aber aufgrund der gemäßigten Schwierigkeiten (meist 3 bis 4) auch keine Monsterunternehmung. Wir denken sogar daran eventuell noch die „Wiessner – Kees“ dranzuhängen, für den Fall dass wir superschnell sind (ja, manchmal leiden wir an heilloser Selbstüberschätzung!).

Wir starten um 7 Uhr und erreichen die Trevisohütte in sensationellen 45 Minuten (statt 60), und da wir ja jetzt schon 15 Minuten „gespart“ haben gönnen wir uns erst mal einen Kaffee.

Von dort sind wir nach weiteren 30 Minuten am Einstieg. Nach zwei grasigen Schrofenlängen beginnt die eigentliche Tour an einem kleinen Felsabsatz. Sprinter also vor, es geht hier um die Ecke und so ist er schnell außer Sichtweite. Ich sichere und gebe anfangs noch regelmäßig Seil aus. Irgendwann passiert dann nichts mehr, Sprinter ist mittlerweile aber auch außer Hörweite und ich kann nur abwarten. Es dauert ewig bis ich wieder Seilzug spüre und nochmals ewig bis Sprinter das Seil einzieht. Ich klettere nach und staune. Wie Sprinter hier den Tourenverlauf gefunden hat ist mir schleierhaft: Fels und Gras wechseln, Anhaltspunkte wie Sicherungen gibt es kaum und wo hier eine Kante sein soll ist mir auch nicht klar. Ich bin nicht unbedingt ein Anhänger von Kanten- oder Gratkletterei (ausgesetzt und so…), zumindest haben sie aber den Vorteil dass es nur ein „vor“ und „zurück“, aber kein „links“ und „rechts“ (weil: Luft) gibt (naive Vorstellung, ich weiß). Wegfindung also eigentlich einfach.

Ich sehe übrigens in der ganzen Tour nur ganz selten ein kleines bisschen Grat oder Kante. Vielleicht fehlt mir hier auch das alpinistische Auge?

Jedenfalls: Sprinter steht am Stand und ich bin sicher: wir kehren um. Wir haben für die erste (von 15) Längen schon zu lange gebraucht. Aber nein, tun wir nicht. Weil: von jetzt an wird es einfacher (Sprinter), Rückzug kaum möglich (Sprinter) und überhaupt kommt jetzt Felsen und damit sind die Sicherungspunkte auch klarer ersichtlich (Sprinter). Ich zweifle, beuge mich aber der diktatorischen Mehrheit.

Tatsächlich kommt jetzt purer Fels (na ja, fast), ich sehe auch schon die nächsten Sanduhrschlingen blitzen und zu unserem großen Glück ist kurz vor uns eine Seilschaft geklettert die netterweise Magnesiaspuren hinterlassen hat. Erinnert mich fast ein bisschen an Hänsel und Gretel….

Die nächsten Längen sind ok. Nicht dass wir besonders schnell sind, Sprinter verbringt viel Zeit schauend, suchend und Sicherungen legend, aber wir kommen voran. Meine innere Uhr tickt zwar, aber immerhin haben wir schon einige der 15 Längen hinter uns. Dann mache ich meine erste richtige Bekanntschaft mit einem Dolomiten – 5er.

Die Länge beginnt bei einem Stand an einer Kante (vielleicht DIE Kante?). Ich stehe an diesem recht zugigen kalten Stand, mir ist etwas mulmig. Die Länge ist steil, sehr steil. Der Fels teilweise brüchig. Die Sicherungen dürftig. Sprinter klettert und tut sein Bestes um relaxt zu wirken.

Ich steige nach. Die Länge ist so, wie sie aussieht: schwer und kraftraubend. Ich quäle mich nach oben und kann nicht glauben dass man solche Längen vorsteigen kann – stürzen ist hier eindeutig keine gute Idee, die paar vorhandenen Sicherungen schauen wenig vertrauenserweckend aus.
Nach weiteren keineahnungwievielen Seillängen dann das Wunder: ich klettere nach und finde mich plötzlich auf einem Plateau in der Sonne wieder (hab ich schon erwähnt dass ich mittlerweile leicht durchgefroren bin? Kann ja niemand wissen dass in einer Nordwestkante die Sonne nicht scheint….)!

Sonne, Wärme, Gipfel! Ich jubiliere innerlich. Zumindest kurz. Nach „Ende“ schaut es hier nämlich so gar nicht aus. Die 15 Seillängen sind vorbei, der Berg irgendwie noch nicht.

Sprinter meint: „So, jetzt sind wir fast da.“

Ich hasse diesen Satz! Übersetzt bedeutet er nämlich: „Schatz, ich habe keine Ahnung wo wir sind und wie weit es noch ist, aber lange kann es ja nicht mehr dauern, immerhin sind wir ja schon ewig unterwegs, und überhaupt, wir haben keine Wahl, also reiß dich zusammen!“

Ich wage den Blick auf die Uhrzeit. 18:30 Uhr. In Worten: halb sieben! Und noch immer nicht am Gipfel! Ich verdränge aufkeimende Panik und überlege wie es weiter geht. Gut, wir sind ja fast am Gipfel. Wenn wir es in einer Stunde schaffen, sind wir um halb acht oben. Dann haben wir es noch fast eineinhalb Stunden hell. In eineinhalb Stunden wären wir fast bei der Hütte. Also, alles halb so schlimm…

An diesem Plateau mündet auch die „Frisch – Corradini“, eine etwas schwerere Tour, in die Detassis, so dass die letzten Seillängen zusammen verlaufen. Hier treffen wir nun auf eine katalanische Dreierseilschaft, die sich ebenfalls in der Zeit und den Schwierigkeiten etwas vertan hat und erst jetzt am Fast – Gipfel ankommt.
Wir quatschen kurz, wünschen noch viel Spaß und machen uns an die letzten Seillängen.

Das Verabschieden hätten wir uns sparen können…

Die Länge ist leicht und endete auf einem Felsabsatz. Nach der nächsten Länge befinden wir uns bei einem Stand an einer Kante (schon wieder – schlechtes Omen?). Die Frage ist nun: links oder rechts davon? Rechts hinüber sehen wir nicht, links sieht es …okay aus. Eine Schuppe, Kletterspuren.
Sprinter also links hinauf, die Vorsteigerin der Katalanen ist mittlerweile auch wieder bei mir (eigentlich ganz nett so ein bisschen Gesellschaft nach den vielen einsamen Stunden). „Does he know the right direction?“ fragt sie mich und ich bejahe. Sprinter kämpft mittlerweile mit brüchigem Gestein und nicht vorhandenen Sicherungen. Die katalanischen Jungs sind jetzt auch da (ja, es wird etwas eng) und zu viert betrachten wir eine kurze Zeit lang Sprinters vorsichtiges Vorwärtstasten. „Is he sure that this is the right route?“ fragen die Jungs, deutlich zweifelnd. Ich zucke die Schultern und muss nun zugeben: „No“. In Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit entschließt sich einer von ihnen es rechts zu versuchen und ist in wenigen Minuten beim oberen Stand, der sich rechts (Überraschung) von Sprinters momentanen Aufenthaltsort befindet. Für Sprinter gibt es nur den Weg nach vorne, Ablassen ist unmöglich (nicht ratsam wenn die Sicherungen aus Friends und Bandschlingen in losem Gestein bestehen). Behutsam quert er unter einem Überhang und vermeidet möglichst jeden Felskontakt um ja nichts loszutreten. Zwischenzeitlich sind alle Katalanen am oberen Stand angelangt und geben Sprinter moralische Unterstützung auf den letzten Metern. Mir bleibt nichts anderes übrig als ebenso die brüchige „Variante“ hinaufzuschleichen. In der oberen Querung ist ein riesiger Block, und während sich meine Hand dem Felsstück nähert beginnen alle zu schreien „Don´t touch!“ (die Katalanen) und „Nicht angreifen!“ (Sprinter). Ich zucke zurück und der Brocken scheint, allein aufgrund der akustischen Erschütterungen, zu schwanken.
Die letzten Meter springe ich förmlich zum Stand, wo mich ein bleicher Sprinter erwartet.
Überflüssig zu erwähnen dass uns dieses Intermezzo eine weitere Stunde gekostet hat, es ist jetzt halb acht. Auch überflüssig zu erwähnen, dass wir erst fast am Gipfel sind.

Wir sind nun zu fünft am Stand und lassen die Katalanen die letzten Längen vorsteigen. Ich esse einen halben Müsliriegel. Hunger habe ich nicht, aber ich denke mir, nach 10 Stunden Klettern wäre eine Kleinigkeit im Magen vielleicht nicht schlecht. Sprinter ist immer noch bleich, die Verhauerlänge sitzt ihm in den Knochen.

Nach der nächsten Länge befindet man sich dann tatsächlich auf so einer Art breiten Grat. Ich vermute, man hat einen fantastischen Rundblick von dort, genau sagen kann ich es nicht denn ich bin schon viel zu müde für Sightseeing. Alles was ich sehe ist die letzte Länge, die mit einem kleinen Sprung über einen Spalt startet und, man glaubt es kaum, auf dem Gipfel, dem echten, einzigen und finalen Gipfel, endet.

Sie ist nicht schwierig und doch spüre ich mittlerweile jeden Knochen. Am Gipfel angelangt, packen die Katalanen bereits hektisch ihr Material ein. Sprinter bittet sie, noch kurz auf uns zu warten, was sie auch tun, aber nicht ohne uns nervös anzutreiben. Sie hoffen den heiklen(?!) Teil des Abstieges noch im letzten Dämmerlicht (es ist halb neun) zu schaffen.

Ich tausche also Kletterschuhe mit Bergschuhen, und ohne das gewaltige Panorama eines Blickes zu würdigen finde ich mich schon auf dem Normalweg wieder.

Am  Anfang meiner Alpinkarriere dachte ich, ein „Normalweg“ wäre etwas Gutes, Angenehmes, Sicheres – normal eben. Tatsächlich bedeutet das „normal“ nur, dass diese Wege auch für normale (nicht kletternde) Menschen begehbar sind. Mit anderen Worten: ein Normalweg ist eine oft ungesicherte steile und anstrengende Möglichkeit für Menschen ohne komplette Kletterausrüstung auf einen Gipfel und wieder hinab zu gelangen.

 

Der Abstieg: Erst geht es eine steile Rinne hinab. Vom Rest kann ich nur folgende Zusammenfassung geben: wenige Minuten später ist es plötzlich dunkel. Es ist, als hätte man die Deckenlampe ausgeschaltet. Ziemlich zeitgleich beginnt die Kletterei im 3er Gelände. Sprinter erbleicht wieder (vermutlich, sehen kann ich es nicht) und meint bloß „Verdammt!“. Ich: “Was?“ Er: „Sollen wir sichern?“ Ich überlege. Die Katalanen turnen vor uns, ungesichert, auf den Felsen herum. Es sieht nicht schwierig aus. Ich will die Katalanen nicht verlieren, weil: die Anwesenheit weiterer Menschen gibt mir irgendwie Sicherheit. Und die Katalanen haben Stirnlampen. Wir auch, aber nur eine, und mir fällt gerade nicht ein wann wir das letzte Mal die Batterien getauscht haben. Es ist klar dass die Katalanen, bei aller bergkameradschaftlichen Nächstenliebe, keine Lust haben ewig auf uns zu warten. Also nein, kein Sichern.

Es folgt ein kurzer Abseiler und weiteres Klettern im Dunklen. Ich habe die Stirnlampe, Sprinter bleibt dicht hinter mir. Gelegentlich kommt ein kalter Luftzug – von unten. Einmal klettern wir eine mit Bolts versicherte Passage. Manchmal fällt ein Stein und schlägt viele Sekunden später irgendwo in der Tiefe auf. Ich denke nicht, rede nicht, klettere nur konzentriert vor mich hin. Zum großen Glück ist der ganze Abstieg vorbildlichst mit roten Punkten markiert. Irgendwann kommen wir zum Durchschlupf, der bei Tageslicht sicher imposant ist. Später dann gelangen wir zu einer Art Klettersteig, wo sich kurz die Meinungen teilen, wie es denn nun weitergeht. Sprinter hat noch die richtige Route im Kopf, was die Katalanen leicht bezweifelten (ich kann es ihnen nicht verdenken).

Nach Ewigkeiten höre ich von der katalanischen Vorhut „El camino, el camino!!!“ und Freudengeschrei. Tatsächlich, ein camino, ein Weg, wir haben die Scharte erreicht! Hier gibt es sogar einen Wegweiser. Ich könnte hier jetzt lang und breit meine Erleichterung beschreiben, was ich nicht tue, denn nur wer ähnliches erlebt hat kann sich vorstellen wie viele Felsbrocken mir vom Herzen gefallen sind.

Wir bedanken uns  bei den drei Katalanen und verabschieden uns (nun endgültig!). Sprinter und ich rauchen schweigend eine Zigarette und betrachten den wirklich unglaublichen Sternenhimmel. Der restliche Weg, eine Schotterreise hinab, dann durch den Wald, ist nicht schwierig aber anstrengend. Als wir irgendwann die Hütte erreichen weiß ich, ich darf nicht stehenbleiben oder mich setzen, sonst würde ich nie mehr weitergehen können oder auf der Stelle einschlafen. Die Strecke von der Hütte bis zum Auto zieht sich auch ordentlich. Beim Auto checken wir die Zeit. Es ist halb zwei. Man kann also sagen, wir haben unseren Zeitplan fast eingehalten…

 

Fazit: Die „Detassis – Castiglioni“ ist mit Sicherheit eine tolle Tour. Leider konnte ich das Gipfelpanorama nicht genießen, vielleicht ein Grund die Tour ein zweites Mal zu klettern. Dass wir die Tour sehr naiv angegangen sind lässt sich nicht bestreiten. Die niedrig angegebenen Schwierigkeiten verleiten dazu, die Tour als „leicht“ einzustufen, was sie nicht ist. Zwar gibt es viel 4er Gelände (und leichter) die schwierigen Längen sind aber mit Vorsicht zu genießen. Am meisten Zeit kostet sicher das „Suchen“, die Tour lässt sich meiner Meinung nach nur dann in 5-7 Stunden klettern wenn man den Verlauf kennt. In den leichten Längen ist teilweise so gut wie nichts vorhanden. Alpine Erfahrung ist hier Voraussetzung, ordentlich Ausdauer ebenfalls. Den Abstieg würde ich ungesichert nicht mehr gehen. Daran hatte ich noch eine Weile zu knabbern (Sprinter auch). Ein früher Einstieg empfiehlt sich, bestenfalls klettert man im Juni, Juli, wenn die Tage richtig lang sind.