„Wilde Leck Ostgrat“, Stubaier Alpen, 9 SL, 4

August 2022

Wenn man seit Ewigkeiten am konditionellen Gefrierpunkt herumdümpelt ist die „Wilde Leck“ vielleicht nicht unbedingt die Tour der Wahl. Verschiedene Umstände haben dazu geführt, dass ich nach dem ersten kategorischen „Nein, das schaff ich nicht!“ letztlich doch die sprichwörtlichen Füße in die Hand  und gemeinsam mit Sprinter die Tour in Angriff genommen habe.

Ausgiebige Recherchen hinterließen einige Fragezeichen was Zustiegszeit und Abstiegsgegebenheiten angehen. Nach dem ersten Versuch (den wir wegen eines grandios falschen Wetterberichts abgebrochen haben)  steht zumindest eines fest: startet man wie wir von Gries ist ein E – Bike unerlässlich, außer man ist a) passionierter Radler und b) konditionell in Sphären unterwegs die ich in diesem Leben nicht mehr erreichen werde.

Weil Sprinter zumindest b) erfüllt kommen wir bis zur Ebene hinter der Amberger Hütte, obwohl sein E- Bike bereits am Parkplatz das „E“ verweigert.

 

Beim zweiten Versuch: fantastisches Wetter und zwei funktionierende E – Bikes, Herz was willst du mehr?

Der Weg ist übrigens ab der Amberger Hütte ein sehr holpriges Unterfangen, dass meine Bandscheiben noch an Ort und Stelle sind grenzt an ein Wunder.

Die E – Bikes lässt man am besten vor der kleinen Brücke stehen. Wir entscheiden uns für den flacheren Weg - bis zum weißen Wegweiser, dann links ab, bei der Brücke aber rechts des Baches bleiben. Dieser Weg ist länger als der rechts, dafür aber super angenehm zu gehen bis man zum Aufschwung Richtung Gletscher kommt, außerdem bestens markiert.

Bis zum Sulztalferner also gemächliches Wandern, der Sulztalferner ist flach und auch ohne Steigeisen kein Problem. Der Wilde Leck Ferner ist deutlich steiler und eisiger, diesen begeht man aber nur kurz bis man nach rechts Richtung Wilde Leck quert. Hier wird’s richtig mühsam: blockiges, bröseliges Gelände, meine Pausenabstände verringern sich dramatisch. Dass wir die Einstiegsrampe verfehlen, ist ein Anfängerfehler, wir gehen zu weit nach oben und queren in Eigenregie zum Grat (geht gut, auch wenn hier nichts so richtig fest ist).

 

Der Grat: einer der nettesten die ich bisher geklettert bin. Leicht, nie bedrohlich, und der Fels ist erstaunlich fest, wenn man bedenkt auf welchem Schutthaufen er sich befindet. Wir klettern mit 60m Halbseil das wir doppelt nehmen und gehen abwechselnd am laufenden Seil so weit das Material reicht. Absichern kann man laufend und gut; Friends kann man getrost zuhause lassen, lieber ein paar Bandschlingen mehr einpacken. Für die 4er – Stelle bietet sich im Fall ein Keil an.

 

Abstieg: in unserer Vorstellung klettert man ein bisschen dem Grat entlang bis man zur Abseilstelle kommt, dann abseilen, bissi Schrofengelände und unten ist man. Auch daran mag es liegen dass wir ewig unterwegs sind, immer wieder halten wir nach der Abseilstelle Ausschau. In Wahrheit folgt man dem gesamten Südgrat bis zum Ende; das Abseilen am Ende erfolgt über zwei leichte Schrofenstufen. Der Weg ist super markiert, zieht sich aber ordentlich. Kritischere Abkletterstellen sind mit Abseilstellen entschärft.

Die letzten Meter geht es über blockiges Schrofengelände, dann ist man wieder beim Wilde Leck Ferner, allerdings deutlich weiter oben.

Prinzipiell geht es jetzt wieder den Zustiegsweg retour, allerdings hat sich während unserer Gratwanderung die Gletscherlandschaft deutlich verändert… 35 Gad im Tal machen sich auch hier oben bemerkbar. Wo vorher kleine Rinnsale flossen fließen jetzt Bäche, unter der dünnen Erdschicht ist blankes, zerfließendes Eis. Wir halten uns vorsichtshalber links im Blockgelände, das ist mühsam, aber wenn man nicht mit Steigeisen und Gletschererfahrung ausgerüstet ist sicherer.

Auch die Bachquerung des Aufstieges ist nicht mehr machbar, und Teile des Abstiegs stehen unter Wasser.

 

Fazit und Anmerkungen: Eine tolle, leichte Grattour, die weniger den Kletterer als den Alpinisten ansprechen dürfte. Zu- und Abstiegszeit stehen in einer schlechten Relation zur Kletterzeit und sind äußerst mühsam.

Anfang August ist der Gletscher ein riesiger, schmelzender Eiswürfel der seine Gestalt und die Anforderungen laufend verändert. Wer sich mit diesem Gelände nicht gut auskennt sollte im Zweifel im Blockgelände bleiben, auch wenn das noch zusätzliche Mühen bedeutet.

Für die „Wilde Leck“ braucht man Kondition. Wer diese nicht ausreichend hat sollte entweder vor dem Einstieg nochmal prüfen ob Zeit und Energie für den Grat reichen oder (so wie ich) kalkulieren dass man den Tag ausnützt.

Meine Zeiten, die absolut nicht als Referenz zu sehen sind (Sprinters Zeiten würden natürlich komplett anders aussehen, aber : Mitgegangen, mitgefangen) um zu veranschaulichen, dass solche Touren auch ohne Topform machbar, aber sehr anstrengend und zeitintensiv sind:

 

Start Parkplatz Gries: 5:45

Brücke hinter der Amberger Hütte / E – Bikes abstellen: 6:20

Einstieg am Grat (nach vielen Pausen und dem Einstiegsverhauer): 11:30

Gipfelkreuz: 13:45

PAUSE

Wilde Leck Ferner (herunten vom Berg): 17:30 (hier kann man sicher viel Zeit sparen wenn man zielstrebiger ist und weniger sichert – wir haben bis zum großen Steinmann gesichert)

Parkplatz Gries: 20:30

 

Fazit Sprinter: Material: 1 Halbseil (doppelt genommen), 6 Express und einige Bandschlingen. Man kann auf der gesamten Tour alle paar Meter Köpferlschlingen legen. Wir sind gemeinsam geklettert – überschlagend , sobald dem Vorsteiger das Material ausging. So ist man flott und sicher unterwegs. Der Abstieg ist recht lang und mühsam (wenn man als Farbenblinder die Markierungen nicht sieht) – ganz am Ende der Rinne etwas mühsam – hier liegen auch „frische“ Blöcke in Kleinwagen-Größe im Weg. Der gesamte Berg ist ein elender Bruchhaufen – hier dürfte nur der Ostgrat fest sein.

Die gesamte Tour macht schon Spass, vor allem bei Traumwetter wie wir es hatten. Man sollte sich allerdings auf eine Bergtour mit Klettern einstellen – nicht auf eine Klettertour. Mit einem „gemütlicheren“ Partner sollte die Stirnlampe im Rucksack nicht fehlen.

 

 

Topo: bergsteigen.com