Psycho

 

Ich habe mich überhängend in die Verdonschlucht abgeseilt, bin ausgesetzte Quergänge geklettert, schmale Rampen entlanggekrochen und bin Zu- und Abstiege gegangen die andere schon als Klettertour einstufen würden. Immer fokussiert auf den nächsten Schritt, die nächste Sicherung, den nächsten Griff, meistens souverän, die Tiefe rings um mich herum ausgeblendet, im besten Fall auch die Frage „Was wenn ich stürze?“.

 

Und plötzlich ist es, als würde ein Schalter umgekippt und ich habe Angst.

Am einen Tag, in einer schweren und oft ausgesetzten Tour in der Coste dell´Anglone, ist noch alles gut und Sprinter voll des Lobes für meine Coolness.

Am nächsten Tag steigen wir eine Rampentour in Due Laghi ein und ich zittere in der ganzen ersten Länge, dann bricht ein Friend aus und ich beginne zu heulen (und kann, genau genommen, erst Tage später wieder damit aufhören).

 

Der wichtigste Körperteil beim Klettern ist der Kopf. Mein Kopf verweigert mir aber momentan den Dienst, und ich habe gemerkt wir furchtbar Klettern in diesem Zustand ist.

Die Rampentour haben wir abgebrochen, sind stattdessen zwei ziemlich leichte Touren in San Paolo geklettert. Sogar vorgestiegen bin ich, aber ohne Freude, nur Angst, Angst, Angst.

 

Abschluss unseres Kletterwochenendes: die Jaufenkante. Ich denke mir, ganz leichte Kletterei, vielleicht heilsam für meinen Kopf. Dann kommen wir beim Zusteigen an einer Gedenktafel vorbei, und von da an klammere ich mich an jeden Grashalm und bin in der Einstiegslänge, einer 3, schon wieder den Tränen nahe.

 

Mein kaputter Kopf macht auch meinen Körper schwach. Beim Klettern bin ich schon nach den ersten Metern fertig, weil ich stürzen mehr als jemals zuvor vermeiden will. Ist die nächste Sicherung ein Friend, potenziert sich meine Angst und ich klettere möglichst so, dass ich in gerade Linie zur nächsten Sicherung bin, auch wenn das oft überhaupt keinen Sinn macht. Beim Absteigen bin ich superschneckenlangsam weil meine Knie schlottern und ich Trippelschritte mache.

Sprinter versteht das nicht. Was soll dir denn passieren? fragt er mich.

Gute Frage. Ich könnte beim Absteigen ausrutschen und abstürzen. Ich könnte gegen die Wand knallen wenn die nächste Sicherung nicht hält und mir die Kniescheibe zerschmettern. Nicht tödlich, aber sicherlich schmerzhaft und nicht gerade optimal, jetzt, wo ich kurz vor einer Ausbildung stehe. Ich könnte aus einem Quergang fallen und in der Wand baumeln, und dann... könnte das Seil reißen, und dann.... Kopfkarussell!

 

Wieder fahren wir nach Arco, ich bräuchte eine Kletterpause die ich mir nicht nehme weil die Gelegenheiten zum Klettern eh in Kürze rar werden. Ich will meinen Kopf überlisten, so tun als wäre nichts, und trotzdem hoffe ich auf Regen, darauf, dass die großen, schweren Touren auf später verschoben werden. Es regnet nicht, aber das Wetter ist zu unsicher, wir disponieren um und versuchen die „Adonis“ in San Paolo. Eine schöne Tour, haben wir schon mal gemacht, deswegen gibt es diesmal den Direkteinstieg. Er ist schwer und ich fummle schon in den ersten Metern, bin im Nachstieg quer gesichert durch einen Friend - Supergau. Endlich vorbei am Friend, nun kommt eine kleingriffige, steile Wand. Mühsam, so mühsam, endlich oben, Sprinter macht den Fehler und fragt mich was da jetzt so schwer war.

 

Alles ist schwer! möchte ich am liebsten schreien, aber ein vernichtender Blick muss reichen. Auch diese Tour brechen wir ab, und wieder bin ich froh und frage mich gleichzeitig ob das jetzt in Zukunft mein größtes Glück beim Klettern sein wird – eine Tour nicht zu klettern?

 

Zum ersten Mal seit wir nach Arco fahren entscheiden wir uns bewusst dafür am nächsten Tag Sportklettern zu gehen. Sportklettern, das ich eigentlich nicht mag und das seit jeher Notfallprogramm ist. Diesmal bin ich heilfroh und wir finden sogar einen Klettergarten mit dem ich mich anfreunden kann.

Ich merke wie wohl es mir tut, gut gesichert nach oben zu klettern, zwar steil, aber egal, ich quäle mich gern weil ich weiß dass ich nach jeder Länge neu entscheiden kann ob ich nochmal einsteige und weil nicht das Wohl und Wehe einer Tour von meinem Durchhaltevermögen abhängt. Es beginnt zu regnen, auch egal, wir sind ja nicht mitten in einer Tour sondern brauchen bloß unsere Sachen zu packen.

 

Ich merke wie wohl es mir tut mich nicht überwinden zu müssen sondern zu können, ich kann leichte Touren klettern, Sprinter schwere, jeder kommt auf seine Kosten ohne großartige Kompromisse.

 

Ich merke, dass ich vielleicht gar keine Kletterpause brauche

Vielleicht nur eine Pause vom ständigen „mich Überwinden“ und „über meine Grenzen gehen“?